Der Akademikerzyklus

Der Akademikerzyklus ist Mechanismus in der Tiefenstruktur des gesellschaftlichen Lebens, der seit dem Aufklärungszeitalter mit großer Regelmäßigkeit in Erscheinung tritt.

Seit mindestens 1780 pulsieren die Studentenströme in Deutschland wie Ebbe und Flut über die Generationenfolge hinweg. Die langfristigen zyklischen Wellen lassen sich bereits – die Erarbeitung der bildungsstatistischen Grundlagen vorausgesetzt – nach dem bloßen Augenschein erkennen. Zwei Einflusskomponenten sind hier wirksam. Wegen der langen Ausbildungsdauer und der Zeitdifferenz von Studienwahl und Verwertung werden bei den Nachwuchsströmungen Schwankungen erzeugt, die sich mindestens über den Zeitraum einer doppelten Ausbildungsdauer erstrecken. Die hieraus resultierenden Einflüsse auf das Bildungsverhalten werden durch altersstrukturelle Einflüsse bei der Generationenablösung in den akademischen Berufen zusätzlich überformt. Durch ungleichmäßige Wachstumsprozesse bedingt lösen sich Phasen der beschleunigten und verlangsamten Generationenumschichtung in den Karrieren ab (Verjüngung und Überalterung des Berufsstandes). Dieses wellenförmige Pulsieren der Ersatznachfrage bringt eine zweite zyklische Komponente von einer mittleren Berufsdauer in die langfristige Entwicklung der jeweiligen Karriere.


In systematischen Grundlagenforschungen wurde der Akademikerzyklus für die traditionellen vier akademischen Karrieren (Theologen, Juristen, Mediziner und Philologen) empirisch belegt.
Bildungschancen werden eher in Mangellagen umverteilt. Bei günstigen Berufsaussichten öffnen sich die Karrieren in ihrer sozialen Rekrutierungsbasis ein Stück weit nach ,unten’ in bildungsferne Schichten hinein (Sogeffekte). Bei schlechten Berufsaussichten (Cooling-out) schließen sie sich wieder ein Stück weit nach ,unten’ ab (Abschreckungseffekte). Bei günstigen Verwertungsbedingungen kommt im schichtspezifischen Bildungsverhalten mehr in Bewegung, als durch ungünstige Verwertungsbedingungen wieder zurückgedrängt oder ,stillgestellt’ wird. Unter Mangelbedingungen werden mehr Chancen umverteilt, als in Überfüllungsphasen wieder zurückgenommen werden. Das ist auch der tiefere Grund für das moderne Bildungswachstum. Trotz der wiederkehrenden Cooling-out-Prozesse hat sich die Rekrutierungsbasis der Studierenden bis zur Gegenwart in die mittleren und unteren Sozialschichten hinein beträchtlich erweitert, ist die Bildungsselektion gleichsam universell geworden.

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